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AWSL: Sportchef Dario Semadeni im grossen Interview

Am Samstagabend,18 Uhr, Stadion Grünfeld, empfangen die Frauen des FC Rapperswil-Jona den FC Thun Berner Oberland – ein Spiel mit Signalwirkung im Kampf um den Klassenerhalt. Vor dem kapitalen Duell spricht Sportchef Dario Semadeni über Aufbauarbeit, Mentalität und seine Vision für den Frauenfussball in Rapperswil.

Dario Semadeni, Sie sind seit diesem Sommer Sportchef und Technischer Leiter der Frauenabteilung des FC Rapperswil-Jona. Für jene, die Sie noch nicht kennen: Wer sind Sie?
Ich bin 32 Jahre alt, in Tuggen aufgewachsen und lebe heute im Aargau, in der Nähe von Baden. Fussball begleitet mich, seit ich denken kann. Ich habe in der Schweiz und während dreieinhalb Jahren in Seattle gespielt, bevor ich beruflich während acht Jahren bei der Flughafen Zürich AG tätig war. Der Fussball war für mich aber nie nur Freizeitbeschäftigung, sondern Leidenschaft und Lebensschule zugleich.

Wie führte Ihr Weg in den Frauenfussball – und schliesslich nach Rapperswil-Jona?
Nach meinen ersten Trainerstationen in Dübendorf und Effretikon wechselte ich im Winter 2021 zum FC Zürich, wo ich im Nachwuchsbereich arbeitete. Von dort führte der Weg zu GC und später zum FC Aarau. In Aarau war ich für die U17 bis U20 zuständig und zuletzt auch für die Kaderplanung der AWSL-Mannschaft. Eine sehr spannende Zeit – zumal das Team damals die erfolgreichste Saison der Vereinsgeschichte spielte.

Im Sommer erhielt ich dann einen Anruf von FCRJ-Trainer Gerold Bisig. Der Verein suchte einen neuen Sportchef. Nach dem Gespräch mit ihm und dem Präsidenten war mir klar: Hier entsteht etwas. Wir haben starke Rahmenbedingungen, grossartige Infrastruktur – und ein Projekt, das Substanz hat. Also habe ich mich entschieden, Aarau zu verlassen und bei Rappi etwas Neues aufzubauen. Diese Entscheidung habe ich bis heute keine Sekunde bereut.

Was genau umfasst Ihre Rolle als Sportchef – und was als Technischer Leiter?
Als Sportchef bin ich für die sportliche Ausrichtung des AWSL-Teams verantwortlich: Kaderzusammenstellung, Vertragswesen, Budget, aber auch organisatorische Themen wie Wohnungen oder Fahrzeuge für Spielerinnen. Zudem laufen sämtliche Medienanfragen rund um das AWSL-Team über mich.

In meiner zusätzlichen Funktion als Technischer Leiter kümmere ich mich um den gesamten Leistungsbereich im Nachwuchs. Der Breitensport wird von meiner Kollegin Rahel Büsser betreut – was mir sehr wichtig ist, weil wir dort inzwischen vier zusätzliche Teams haben. Das erlaubt uns, Leistung und Breite gezielt zu fördern und beide Bereiche professionell zu entwickeln.

Ihr Team hat zum Saisonstart überrascht: Sieg gegen Basel, Remis gegen Servette, starke Auftritte gegen GC und den FCZ. Was läuft derzeit besonders gut?
Ehrlich gesagt war ich selbst überrascht, wie rasch die Mannschaft zueinandergefunden hat. Wir haben im Sommer 14 neue Spielerinnen verpflichtet und nur acht aus der vergangenen Saison behalten – ein grosser Umbruch, der eigentlich mehr Zeit gebraucht hätte.

Trainer Gerold Bisig und sein Staff haben hier hervorragende Arbeit geleistet. Sie haben ein Team geformt, das zusammenhält, kämpft und Verantwortung übernimmt. Wir haben Spielerinnen verpflichtet, die in europäischen Topligen gespielt haben, und gleichzeitig solche gehalten, die den Verein durch schwierige Zeiten getragen haben. Diese Mischung funktioniert.

Was uns stark macht, ist unsere «Arbeiter-Mentalität». Bei uns zählt Einsatzbereitschaft mehr als Name oder Erfahrung. Jede weiss, was sie zu tun hat – und jede ist bereit, für die andere zu laufen. Das prägt unseren Stil.

Trotzdem steht das Team in der Tabelle nur knapp über dem Strich. Was fehlt noch?
Wir haben in der Breite noch Nachholbedarf. Andere Teams verfügen über tiefere Kader – das merkt man insbesondere bei Verletzungen. Teilweise fehlten uns sechs bis sieben Spielerinnen gleichzeitig. Trotzdem haben wir auch dann konkurrenzfähig gespielt.

Im Winter werden wir gezielt nachlegen. Wir wollen uns langfristig im Mittelfeld der Liga etablieren und nichts mehr mit dem Abstieg zu tun haben. Wenn man bedenkt, dass wir letzte Saison mit nur vier Punkten am Tabellenende standen, ist die Entwicklung klar sichtbar.

Natürlich sind die Erwartungen mit dem neuen Budget gestiegen – aber wir wissen auch, dass nachhaltiger Aufbau Zeit braucht. Mit einem Sieg gegen Thun könnten wir auf acht Punkte kommen und auf Rang sieben vorrücken. Das wäre ein starkes Signal.

Sie haben den Kader stark umgebaut. Worauf legen Sie bei Transfers den grössten Wert?
Mentalität steht bei uns über allem. Wir wollen Spielerinnen, die zu Rapperswil passen – bodenständig, kämpferisch, lernbereit. Erfahrung und Talent sind wichtig, aber Charakter entscheidet.

Wir haben sehr junge Spielerinnen im Team, aber auch erfahrene Kräfte mit AWSL-Erfahrung. Dazu kommen ausländische Spielerinnen, die sich grossartig integriert haben. Diese Mischung aus Hunger und Routine ist Gold wert.

Seit Ihrem Amtsantritt hat sich im Umfeld viel bewegt. Was hat sich konkret verändert?
Wir haben ein professionelleres Umfeld geschaffen, das die Spielerinnen spüren. Dank neuen Kooperationen – etwa mit Compex und Sponser – bieten wir Regeneration auf höchstem Niveau: Eisbäder, Recovery-Boots, personalisierte Shakes, Kühlschrank mit Mahlzeiten in der Kabine.

Aber das Entscheidende ist: Die Spielerinnen fühlen sich wohl. Sie bleiben nach dem Training länger zusammen, tauschen sich aus, lachen. Dieses Miteinander stärkt das Team – sportlich wie menschlich.

Vor Kurzem feierte mit Leja Feusi eine 15-Jährige ihr AWSL-Debüt. Was bedeutet das für Sie?
Sehr viel. Solche Momente zeigen, dass unsere Nachwuchsarbeit Früchte trägt. Leja hat grosses Talent und den Mut, Verantwortung zu übernehmen. Das ist der Weg, den wir gehen wollen: Eigene Talente schrittweise an die erste Mannschaft heranführen.

Wir haben im Nachwuchs derzeit eine extrem starke Generation. Unsere U18 liegt auf Platz zwei, die U14 spielt fast makellos. Wir zeigen ihnen Perspektiven – und das zahlt sich aus.

Der Frauenfussball erlebt in der Schweiz ein Auf und Ab. Nach der EM war die Euphorie riesig, heute sind die Zuschauerzahlen bescheiden. Warum?
Nach Grossanlässen ist die Euphorie immer kurzfristig. Die Liga hat strukturell noch nicht das Niveau, um konstant grosse Zuschauerzahlen anzuziehen. In Rapperswil kommt hinzu, dass das Team in den letzten Jahren sportlich schwer hatte. Das Interesse wächst mit dem Erfolg.

Zudem haben wir derzeit zu wenige einheimische Spielerinnen im Kader. Die Menschen hier wollen Identifikationsfiguren. Das ist eine Aufgabe, die wir aktiv angehen: Wir bringen die Frauenmannschaft näher an die Stadt, planen Auftritte, Schulaktionen und Begegnungen.

Und es bewegt sich bereits etwas: Trikots einzelner Spielerinnen werden verkauft, die Fans kennen Gesichter, Kinder schreiben Autogrammwünsche. Das zeigt: Der Funke beginnt zu glimmen.

Jetzt folgt am Samstag das kapital wichtige Spiel gegen Thun. Wie gross ist die Bedeutung?
Sehr gross. Wir wissen, dass Thun unter Druck steht – aber das sind wir auch. Mit einem Sieg könnten wir einen wichtigen Schritt Richtung Playoffs machen und uns etwas Luft verschaffen.

Positiv ist: Viele verletzte Spielerinnen sind zurück, das Training war diese Woche intensiv und konzentriert. Wir sind bereit – und hoffen natürlich auf zahlreiche Unterstützung im Grünfeld. Dieses Spiel kann ein Wendepunkt werden.

Und zum Schluss persönlich gefragt: Wovon träumen Sie mit den FCRJ Frauen?
Ich wünsche mir, dass wir uns in zwei bis drei Jahren im Tabellenmittelfeld festsetzen und als Ausbildungsverein einen Namen machen – ein Ort, an dem junge Talente ihre Chance bekommen.

Ich möchte, dass die Menschen in Rapperswil stolz auf diese Mannschaft sind, weil sie Leidenschaft, Teamgeist und Charakter verkörpert. Wenn wir es schaffen, die Stadt zu bewegen und zu begeistern – dann haben wir mehr erreicht als Punkte oder Tabellenplätze. Dann haben wir eine Bewegung gestartet.

FC Rapperswil-Jona Frauen – FC Thun Berner Oberland
Samstag, 1. November 2025, 18.00 Uhr, Stadion Grünfeld